Der Anteil an übergewichtigen Kindern hat sich seit den letzten 20 Jahren ungefähr verdoppelt. Dieser Anstieg resultiert vor allem aus einer unausgewogenen Ernährung. Kinder essen immer mehr Süßigkeiten, fettreiche Knabbereien und trinken überzuckerte Limonaden. Zu kurz kommen dabei Vollkornprodukte sowie Obst und Gemüse. Folge dieser ungesunden Ernährung ist Übergewicht, welches wiederum Krankheiten wie Bluthochdruck, Gelenkprobleme und Diabetes bedingen kann.
Ursache für die zunehmend ungesunde Ernährung von Kindern ist zum Einen die ständige Verfügbarkeit von überzuckerten oder zu fettigen Produkten in Imbissen, Restaurants oder Supermärkten. Zum Anderen gibt es ein großes Sortiment an sogenannten Kinderprodukten der Lebensmittelindustrie, die speziell Kinder ansprechen sollen. Diese sind mit witzigen Comic-Figuren gestaltet und locken mit Spielzeugbeigaben – da kann (fast) kein Kind widerstehen.
Das Sortiment für Kinderprodukte wächst stetig und ist vorrangig geprägt von stark gezuckerten, übermäßig gesalzenen oder zu fettigen Lebensmitteln. Die Hersteller solcher Kinderprodukte nutzen die gut funktionierenden Werbestrategien schamlos aus, denn mit ihren unausgewogenen Lebensmitteln für die Kleinsten lässt sich viel Geld verdienen. Warum sollte sich daran etwas ändern?
Doch es regt sich Widerstand:
Vereine, wie die Deutsche Adipositas Gesellschaft oder die Deutsche Diabetes Gesellschaft fordern eine ausgewogenere Ernährung für Kinder. Dies soll zum Teil durch Werbeverbote von ungesunden Kinderprodukten erreicht werden.
Die Lebensmittelindustrie hat schon 2007 auf diese Forderung reagiert. Einige große Lebensmittelfirmen haben eine freiwillige Selbstverpflichtung unterzeichnet – dem sogenannten EU-Pledge. Dabei handelt es sich um eine Initiative der Europäischen Union, die es sich zum Ziel gemacht hat, Werbung an Kinder verantwortungsvoll zu gestalten.
Die an dieser freiwilligen Selbstverpflichtung teilnehmenden Unternehmen haben Kriterien und Bestimmungen aufgestellt, die die Verfügbarkeit von Werbung an Kinder (bis 12 Jahre) regeln sollen. Zusätzlich wurden Vorgaben zur Nährwertzusammensetzung von Kinderprodukten geschaffen. Diese beinhalten u.a. Grenzwerte für den Zucker-, Fett- und Salzgehalt. Nur Kinderprodukte die innerhalb der festgelegten Nährwert-Grenzwerte liegen, dürfen demnach mit Werbung vermarktet werden.
Die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen existiert jetzt schon seit über 10 Jahren. Zeigt sie eine Wirkung?
Nein. 2015 hat die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch 281 Kinderprodukte auf ihre Nährstoffzusammensetzung hin untersucht und erschreckendes festgestellt (Studie).
Die Gesundheitsorganisation WHO hat Grenzwerte für den in einem Lebensmittel enthaltenen Zucker-, Fett- und Salzanteil definiert, sodass Produkte je nach ihrer Nährstoffzusammensetzung in die Kategorie 'ausgewogen' oder 'unausgewogenen' unterteilt werden. Im Vergleich zu den Nährwert-Grenzwerten der WHO gelten nur 29 Produkte aus der durchgeführten Studie von Foodwatch, also rund 10%, als ausgewogen. Das bedeutet, dass für einen Großteil der Kinderprodukte aus ernährungsphysiologischer Sicht keine Werbung mehr gemacht werden dürfte. Trotz dieser Feststellung sind die Regale noch immer voll von bunt aufgemachten Produkten, die sich speziell an Kinder richten. Wie ist das möglich, wo doch die am EU-Pledge teilnehmenden Lebensmittelunternehmen für verantwortungsvolle Werbung an Kinder plädieren?
Unsere Kritik am EU-Pledge:
Die selbstauferlegten Kriterien zur Begrenzung der enthaltenen Nährwerte sowie die Beschränkung der Werbung der an der freiwilligen Selbstverpflichtung teilnehmenden Firmen sind viel zu lasch und beinhalten viele Lücken, sodass eine Vermarktung von ungesunden Kinderprodukten weiterhin möglich ist.
zu hohe Nährwert-Grenzwerte:
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Der maximale Anteil an Zucker, Fett und Salz in Kinderprodukten ist im EU-Pledge zu hoch angesetzt. Die WHO schlägt beispielsweise einen Zucker-Grenzwert in Frühstückflocken von maximal 15% Zucker vor. In den Kriterien der freiwilligen Selbstverpflichtung der Unternehmen beträgt dieser Grenzwert das Doppelte, also 30%. So ist es möglich, dass überzuckerte Frühstücksflocken weiterhin an Kinder vermarktet werden können. Ein ähnliches Missverhältnis zwischen Nährwert-Grenzwert der WHO und des EU-Pledge gilt auch für andere Kinderprodukte.
zu wenig Beschränkung der Werbung:
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Die Altersgrenze für die Einschränkung von Werbung betrifft nur Kinder bis 12 Jahre. Diese Altersangabe ist zu gering angesetzt.
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Die Regelungen für die Einschränkung der Werbung für Kinderprodukte beziehen sich nur auf klassische Werbung, also vor allem Fernsehen, Print und Internet. Für diese Medien gilt: Es muss nur Werbung beschränkt werden, wenn das konsumierende Publikum aus mindestens 35% Kindern unter 12 Jahren besteht. Das bedeutet beispielsweise, dass Vorabend- oder Familiensendungen von dieser Regelung ausgeschlossen sind. Denn bei diesen wird angenommen, dass sie Mutter, Vater und ein Kind (unter 12 Jahren) konsumieren. In diesem Fall beträgt der prozentuale Anteil des Kindes nur rund 33%.
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Die Verpackungsgestaltung und Spielzeugbeigaben von Kinderprodukten sind von Beschränkungen ausgeschlossen. Somit ändert sich für die Aufmachung solcher Lebensmittel im Supermarkt nichts.
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Nur wenige große Lebensmittelfirmen nehmen am EU-Pledge teil. Somit ist die Wirkung der Werbungsbeschränkung noch geringer.
Fazit:
Mit dem EU-Pledge haben sich einige Lebensmittelunternehmen eigene Auflagen zur verantwortungsvollen Gestaltung von Werbung an Kinder gestellt, um den Forderungen nach einer ausgewogenen Kinderernährung entgegen zu kommen. Allerdings sind diese Auflagen gespickt mit Ausnahmen und laschen Regelungen, sodass weiterhin eine nahezu uneingeschränkte Vermarktung von Süßigkeiten und Junkfood an Kinder möglich ist.