Wie funktioniert ein Produktrückruf?
Nach geltendem EU-Recht sind Lebensmittelunternehmer und -hersteller für die Sicherheit und Unbedenklichkeit ihrer im Handel erhältlichen Produkte verantwortlich.1 Sie sind dazu verpflichtet Mängel an Produkten Kunden und den zuständigen Behörden mitzuteilen.2 Dabei gilt: Unsichere Lebensmittel dürfen nicht in den Verkehr gebracht werden, beziehungsweise müssen so schnell wie möglich aus dem Verkauf entfernt werden.1
Als häufigster Grund für einen Rückruf werden Fremdkörper, wie Metall- oder Plastikteilchen, im Lebensmittel angeführt. Des weiteren können gesundheitsgefährdende Keime, wie Salmonellen oder Listerien sowie Schadstoffe und eine fehlerhafte Deklaration Auslöser für einen Rückruf sein.2,3
Um sichere Lebensmittel zu gewährleisten, müssen Unternehmer und Hersteller vorbeugende Maßnahmen treffen, damit eine Verunreinigung oder eine Keimbelastung der Lebensmittel ausgeschlossen werden kann.1 In den meisten Fällen entdecken die Hersteller selbst bei der innerbetrieblichen Kontrolle, dass Produkte unsicher sind. Auch Mitarbeiter der Lebensmittelkontrolle stoßen mitunter auf belastete Lebensmittel. In seltenen Fällen sind es die Kunden selbst.2
Wird ein Lebensmittel als unsicher eingestuft, muss vom Unternehmen unverzüglich ein Verfahren eingeleitet werden, um das betroffene Produkt vom Markt zu nehmen. Gleichzeitig muss es die zuständige Lebensmittelüberwachungsbehörde darüber informieren.1
Für den Fall, dass das betroffene Lebensmittel noch nicht in den Verkauf gelangt ist, findet eine Rücknahme statt. Dabei werden alle Produkte der betroffenen Charge beim Hersteller und eventuell verfügbare Bestände im Handel vom Verkauf ausgeschlossen. Da dies ohne eine Information an den Verbraucher geschieht, wird dieses Verfahren auch als 'stiller Rückruf' bezeichnet.1
Sobald jedoch ein unsicheres Produkt bereits verkauft wird, muss schnellstmöglich ein Rückruf durchgeführt werden. Dabei wird nicht nur das betroffene Lebensmittel aus dem Verkauf entfernt, sondern es müssen auch alle Kunden schnellstmöglich über verschiedenste Kanäle zu dem betroffenen Produkt informiert werden. Dies kann etwa über Aushänge an der Supermarktkasse, über soziale Kanäle, über Printmedien oder über Presseagenturen geschehen.1 Aushänge am Eingang im Supermarkt, an den Kassen oder am Regal eignen sich dabei besonders gut um den Verbraucher über einen Produktrückruf zu erreichen. Auch die Newsletter der Handelsketten können viele Kunden über den Rückruf zuverlässig informieren.4
Bei Rückrufen kontrollieren Lebensmittelüberwachungsbehörden die vom Unternehmen getroffenen Maßnahmen und Anordnungen zum Rückruf stichprobenartig.1 Wird dieses Handeln von den Behörden als unzureichend eingestuft, so drohen dem Hersteller und den Händlern Bußgelder. Allerdings gibt es dafür keine festgelegten Summen, sondern das Gesetz erlaubt hier Flexibilität.2
Die Behörden der EU informieren sich untereinander über das Kommunikationsnetzwerk des Europäischen Schnellwarnsystems RASFF über Rücknahmen und Rückrufe von Lebensmitteln, Futtermitteln und Lebensmittelbedarfsgegenständen.1
Findet der Verbraucher selbst einen Fremdkörper im gekauften Lebensmittel oder bemerkt sonstige Mängel, so kann dieser den Fall dem Lebensmittelüberwachungs-, Veterinäramt oder dem Hersteller melden.5
2011 hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) die zentrale Plattform www.lebensmittelwarnung.de gestartet. Dieses Internetportal soll Verbraucher gezielt über Lebensmittelrückrufe informieren.1 Allerdings ist diese Seite unübersichtlich, gibt die Rückrufe nur lückenhaft wieder und jede 2. Meldung erscheint verzögert. Dagegen agiert die privat betriebene Seite www.produktrueckrufe.de deutlich schneller.6
Was läuft beim Rückruf von Lebensmitteln schief?
Es klingt so einfach: Bei einem fehlerhaften oder potentiell gesundheitsgefährdenden Produkt ruft das Unternehmen alle Bestände zurück und die Verbraucher werden über alle verfügbaren Kanäle informiert, damit eine Gefährdung weitestgehend ausgeschlossen werden kann.
Doch in der Praxis hapert es teilweise schon an einem zuverlässigen öffentlichen Rückruf von Produkten durch die betroffenen Unternehmen: Es obliegt der Kompetenz des Unternehmens, ob ein Rückruf eingeleitet wird. Denn dieses schwankt im Falle eines mangelhaften Produkts zwischen Verbraucherschutz und Imageverlust.6,7 Um einen Imageverlust zu verhindern gibt es mitunter Fälle, in denen Unternehmen nur einen stillen Rückruf durchführen, obwohl die Ware schon verkauft wurde.5 Das ist ein Rechtsbruch, denn sobald ein unsicheres Lebensmittel in den Einzelhandel gelangt ist, muss die Verbraucherschaft nach geltendem EU-Recht öffentlich über den Lebensmittel Rückruf informiert werden.3
Auch bei der Information über ein betroffenes Produkt an den Verbraucher hapert es meist, denn häufig werden die zur Verfügung stehenden Informationskanäle nur unzureichend genutzt.7 So informieren Supermärkte meist nur über Rücknahmen ihrer Eigenmarke. Sind andere Marken von einem Rückruf betroffen, so erfährt die Verbraucherschaft häufig nichts über diesen Weg,6 denn Supermärkte sind nicht dazu verpflichtet über alle Rückrufaktionen zu informieren.7
Auch die zuständigen Behörden haben nicht die Entscheidungsbefugnis zuverlässig Rückrufe an die Verbraucher weiterzugeben und Fehlverhalten von Unternehmen, Herstellern und Händlern zu sanktionieren. In der Regel dürfen die Behörden nur eine Warnung weiterverbreiten, wenn das betroffene Unternehmen den Rückruf bereits veröffentlicht hat. Doch auch wenn die Behörden über einen Rückruf informiert sind, agieren sie häufig zu langsam.6
Behördliche Lebensmittelkontrollen
Zwischen 2015 und 2019 ist die Zahl der Lebensmittelrückrufe in Deutschland kontinuierlich gestiegen. Das könnte darauf hindeuten, dass Unternehmen und Hersteller ihrer Pflicht zur Eigenkontrolle der Lebensmittelsicherheit teilweise vernachlässigen, wodurch mangelhafte Produkte, die eventuelle gesundheitsgefährdend sind, trotzdem auf den Markt gelangen.5 An diesem Punkt sollten die Kontrollen der zuständigen Behörden zum Tragen kommen, denn regelmäßige Kontrollen sind eine wichtige Voraussetzung für sichere Lebensmittel.8 Doch auch hierbei gibt es erhebliche Lücken: In Deutschland sank die Zahl der Betriebskontrollen von 2007 bis 2017 um 22%. 5,9 Dieser signifikante Rückgang von Lebensmittelkontrollen geht mit Lebensmittelskandalen, wie Keimen in Wurst und Fleischprodukten, giftigen Reinigungsmitteln in Eiern oder schlechten Hygienezuständen in Bäckereien einher.9
Die sinkende Anzahl an Lebensmittelkontrollen ist nicht zuletzt dem Personalmangel in den Behörden geschuldet. Ende 2020 hat der Bundesrat dem Reformvorschlag die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) zugestimmt, welcher eine Reduktion der Pflichtkontrollen in Lebensmittelbetrieben vorsieht. Statt mehr Lebensmittelkontrolleure einzustellen, wurde mit dieser neuen Gesetzgebung die Anzahl der Pflichtkontrollen dem Personalmangel in den Ämter angepasst.8
Fazit
Das deutsche und europäische Lebensmittelrecht lässt zu viele Spielräume, wann ein Rückruf dringend erforderlich ist. Den Behörden obliegt eine zu geringe Entscheidungsbefugnis, unter welchen Bedingungen sie regulierend in Unternehmenspläne eingreifen dürfen, denn sowohl die Beurteilung des gesundheitlichen Risikos als auch die öffentliche Warnung wird vorrangig vom betroffenen Unternehmen ausgeführt.3
Es besteht noch ein großer Handlungsbedarf: So könnten z.B. klare Standards für Behörden und Unternehmen vorgegeben werden, wie eine Warnung zuverlässig über alle verfügbaren Kanäle zu verbreitet werden kann.7 Um die Lebensmittelüberwachung effektiv zu gestalten braucht es politisch unabhängige Behörden, ausreichend kompetentes Personal sowie Regeln für einen konsequenten Vollzug der Kontrollergebnisse.8
Einzelnachweise:
2 https://www.test.de/Rueckruf-von-Lebensmitteln-So-gehen-Unternehmen-und-Behoerden-vor-5010372-0/
3 https://www.foodwatch.org/de/informieren/rueckrufe/mehr-zum-thema/report-zu-lebensmittelrueckrufen/
4 https://www.foodwatch.org/de/informieren/rueckrufe/mehr-zum-thema/rolle-des-handels/
6 https://www.foodwatch.org/de/frage-des-monats/2018/wie-laufen-eigentlich-lebensmittelrueckrufe-ab/