Viele Siegel – mehr Tierwohl?
Eine Möglichkeit bessere Haltungsbedingungen für Nutztiere zu schaffen, sind Tierwohlsiegel. Diese beinhalten festgelegte Kriterien für die Nutztierhaltung. Je nachdem wie diese Kriterien gestaltet sind, kann ein Tierwohlsiegel auch mehr Tierwohl bedingen.
Das aktuellste Label für bessere Tierhaltung ist das im April 2019 vom Handel eingeführte Siegel 'Haltungsform'. Dieses Tierwohllabel schafft allerdings kein Mehr an Tierwohl, denn es kategorisiert lediglich bestehende Fleischprodukte in vier Stufen. Stufe 1 spiegelt dabei nur den gesetzlichen Mindeststandard zur Nutztierhaltung wider. Für die vierte Stufe gelten die höchsten Kriterien. Zu dieser Kategorie zählen auch Bio-Fleischwaren. Tierquälende Praktiken, wie das Schwanz-Kupieren und die betäubungslose Kastration von Ferkeln sind in den ersten drei Stufen weiterhin erlaubt.
Es gibt noch weitere Tierwohllabel, die die Nutztierhaltung verbessern sollen, darunter Bioland, Demeter, Naturland und das EU-Bio-Siegel. Alle beinhalten verschiedene Auflagen, die der Landwirt bei der Haltung und Schlachtung von Nutztieren einhalten muss.
Und noch ein neues Tierwohlsiegel kommt hinzu
Nun kommt auch die Bundesregierung zum Zuge: Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft plant die Einführung des Staatlichen Tierwohllabels. Anfang 2019 gab es ein Zusammentreffen von Vertretern der Tierhalter, der Verbraucher, des Tierschutzes und des Handels. Die Teilnehmer haben Kriterien erarbeitet, die das neue Label beinhalten soll. Bis Ende 2019 will die Bundesregierung ein entsprechendes Gesetz zur rechtlichen Umsetzung dieser Kriterien erlassen. Frühestens 2020 sollen dann die ersten gekennzeichneten Produkte auf den Markt kommen.
Die Kriterien für das Staatliche Tierwohllabel gelten zunächst nur für die Schweinehaltung. Der Geltungsbereich soll aber im weiteren Verlauf auf Geflügel und Rinder ausgeweitet werden. Dieses Siegel kennzeichnet sowohl verpacktes Frischfleisch als auch verarbeitete Fleischprodukte. Außerdem sollen so gekennzeichnete Schweinefleischwaren nicht nur im Einzelhandel sondern auch in der Gastronomie erhältlich sein.
Das Ziel der Bundesregierung ist es, ein für den Verbraucher gut verständliches Siegel zu schaffen, welches beim Fleischkauf die Frage ,Wie viel Tierwohl möchte ich?' möglichst einfach beantwortet.
Welche Kriterien beinhaltet das Staatliche Tierwohlsiegel?
Mit den Kriterien für dieses Label soll das Leben von Schweinen von der Geburt bis zur Schlachtung lebenswerter gestaltet werden. Es besteht aus drei Stufen, die jeweils verbesserte Bedingungen zu Haltung, Transport und Schlachtung beinhalten. Alle drei Stufen liegen über dem gesetzlichen Mindeststandard für Nutztierhaltung, der ja bekanntlich miserable Lebensbedingungen für diese Tiere schafft.
Hier sind die Kriterien des Staatlichen Tierwohllabels in verkürzter Form:
-
mehr Platz: Laut dem gesetzlichen Mindeststandard ist für ein ausgewachsenes Schwein eine Fläche von 0,75m2 vorgesehen. Stufenweise wird dieser verfügbare Platz für jedes Tier erhöht. In der 3. Stufe soll es doppelt so viel Fläche wie beim gesetzlichen Mindeststandard sein. Das sind 1,5m2 Fläche pro Schwein. Ist das wirklich so viel Platz, wenn man bedenkt, dass ein ausgewachsener Eber bis zu 250kg schwer wird?
-
Heu und Stroh zur Beschäftigung: In allen Stufen sollen den Schweinen Naturmaterialien zur Verfügung stehen.
-
Verlängerung der Säugungsphase: Idealerweise sollen Ferkel vier Wochen gesäugt werden. Dieser Richtwert wird aber nur in den Stufen 2 und 3 berücksichtigt.
-
Verbot tierquälender Praktiken: In allen Stufen soll das Schwanz-Kupieren und die betäubungsloser Kastration der männlichen Ferkel nicht erlaubt sein.
-
mehr Kontrolleinrichtungen: Im Stall sollen Kontrolleinrichtungen für die Überwachung von Stallklima und Tränkwasser in allen Stufen eingerichtet werden.
-
weniger Stress bei Transport und Schlachtung: Die Transportzeit und die Versorgung während des Transports zur Schlachtung sollen in allen Stufen verbessert werden. Zusätzlich soll es verstärkte Kontrollen während der Schlachtung geben.
Wer sich genauer zu den Kriterien informieren möchte, kann hier dazu noch mehr lesen.
Der große Haken am Staatlichen Tierwohllabel: Es ist freiwillig
Wie schon bei allen anderen Siegeln basiert auch das Staatliche Tierwohllabel auf freiwilliger Teilnahme. Das bedeutet, nur Landwirte, die ohnehin schon die Kriterien erfüllen oder bereit sind ihre Ställe auszubauen und aufzurüsten, können sich für die Teilnahme am Siegel verpflichten.
Doch warum soll die Teilnahme nur freiwillig und nicht verpflichtend für alle Landwirte sein? Die Bundesregierung begründet es damit, dass ein verbindliches und damit für alle Landwirte geltende Kriterien nur durch eine europäische Regelung umgesetzt werden könnte. Diese Regelung erfordert wiederum einen Abstimmungsprozess aller EU-Mitgliedsstaaten. Experten aus Landwirtschafts-, Handels- und Fleischverbänden verweisen darauf, dass solch eine Abstimmung viel zu lange dauern würde, bis auf diesem Weg ein einheitliches und verpflichtendes Tierwohllabel geschaffen wäre.
Allerdings scheint dieser Vorgang zur Schaffung eines verbindlichen Tierwohllabels für alle EU-Staaten nicht unmöglich zu sein. Schließlich gibt es schon seit einiger Zeit im europäischen Gesetz eine verbindliche Regelung zur Kennzeichnung der Herkunft von Hühnereiern.
Wer trägt die Kosten für die Umsetzung der geforderten Kriterien?
Die Umsetzung der vom Staatlichen Tierwohllabel geforderten Kriterien erfordert Investitionen. Zum Einen entstehen mehr Kosten für den teilnehmenden Landwirt. Zum Anderen muss für die Kontrolle und die dafür notwendige Infrastruktur ein finanzieller Mehraufwand eingeplant werden. Diese Mehrkosten sollen zunächst durch EU-Subventionen und durch höhere Preise der gekennzeichneten Fleischprodukte abgedeckt werden.
Kunden müssten demnach mehr für Fleischprodukte mit Tierwohl-Kennzeichung zahlen. Für Fleischwaren der 1. Stufe wird eine Preissteigerung von etwa 20% geschätzt. Doch werden sich die Verbraucher auch für das merklich teuere Fleisch entscheiden, wenn es das gleiche Produkt auch deutlich preiswerter zu haben ist? Ja, denn laut einer Umfrage der Verbraucherzentrale Bundesverband sind zwei von drei Verbrauchern bereit, mehr Geld für Fleisch zahlen, wenn das Tier unter verbesserten Haltungsbedingungen gelebt hat.
Viele Landwirte schrecken vermutlich vor den erhöhten Kosten, die für die Umsetzung der Kriterien des Staatlichen Tierwohlsiegels nötig sind, zurück. Daher wird der voraussichtliche Marktanteil für gekennzeichnete Fleischprodukte von unabhängigen Experten auf gerade mal 20 bis 30% geschätzt. Das bedeutet, ein Großteil der Schweine wird weiterhin unter den Haltungsbedingungen, die der gesetzliche Mindeststandard vorschreibt, leiden müssen.
Unsere Kritik am Staatlichen Tierwohllabel:
Die Zeit wird knapp: 2020 sollen die ersten gekennzeichneten Fleischprodukte auf den Markt kommen und noch ist weder bekannt, wie hoch die Fördermittel sind, wie die Kontrollen zur Überprüfung der Landwirte gestaltet werden, noch wie das Siegel überhaupt aussehen soll.
Doch eins steht fest, die Kriterien, die dieses Siegel erfüllt, sind immer noch zu niedrig angesetzt, als das sie wirklich ein Mehr an Tierwohl bedingen. Nur ein geringer Teil der in Deutschland gehaltenen Schweine werden von den besseren Haltungsbedingungen, die das Staatliche Tierwohllabel erfordert, profitieren können. Wann vergleichbare Haltungsbedingungen für Rind und Geflügel gelten sollen, ist ebenfalls fraglich.
Entgegen dem Ziel des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft ein gut verständliches und einfaches Tierwohllabel zu schaffen, sind die festgelegten Kriterien so komplex gestaltet, dass der Verbraucher diese nur nach intensiver Recherche nachvollziehen kann.
Der große Nachteil an den verschiedenen Tierwohlsiegeln ist, dass sie nur mit viel Aufwand miteinander verglichen werden können. Somit stiftet das neue Staatliche Tierwohllabel möglicherweise eher Verwirrung, als das es für mehr Transparenz beim Fleischkauf sorgt.
Was viel besser wäre...
Eine einheitliche und verbindliche europäische Regelung zum Tierwohl. Die miserablen Bedingungen in der Nutztierhaltung sind schon lange bekannt. Warum reagiert die Bundesregierung erst jetzt und warum möchte sie die Einführung eines weiteren freiwilligen Tierwohllabels?